Dienstag, 30. Juli 2019

Europäischer Gerichtshof: Sampeln erlaubt bei fehlender Erkennbarkeit beim Hören

Es gibt wieder einmal ein neues Urteil in dem lange währenden Streit um das Sample in Sabrina Setlurs Song "Nur mir", der 1997 von Moses Pelham produziert wurde. Wir berichten bereits seit 2008 über den Fall. Diesmal hat kein geringerer als der Europäische Gerichtshof entschieden, nachdem der deutsche Bundesgerichtshof ihm einige Fragen zur Auslegung der Urheberrechtsrichtlinie (Richtlinie 2001/29) vorgelegt hatte.

Mitglieder der deutschen Electro-Band Kraftwerk hatten geklagt, weil Pelham etwa zwei Sekunden einer Rhythmussequenz aus dem Titel "Metall auf Metall" gesampelt und dem Titel "Nur mir" in fortlaufender Wiederholung unterlegt hatte, obwohl es ihm möglich gewesen wäre, die übernommene Rhythmussequenz selbst einzuspielen. Sie sind der Auffassung, dass Pelham ihr Leistungsschutzrecht als Tonträgerhersteller verletzt habe. Kraftwerk verlangte Unterlassung, Schadensersatz, Auskunftserteilung und Herausgabe der Tonträger zum Zweck ihrer Vernichtung.

Der Europäische Gerichtshof (29. Juli 2019, C-476/17) stellte fest, dass die Vervielfältigung eines – auch nur sehr kurzen – Audiofragments eines Tonträgers durch einen Nutzer grundsätzlich als eine "teilweise" Vervielfältigung dieses Tonträgers anzusehen sei und somit dem Recht des Tonträgerherstellers unterfalle. Entnimmt jedoch ein Nutzer in Ausübung der Kunstfreiheit einem Tonträger ein Audiofragment, um es in geänderter und beim Hören nicht wiedererkennbarer Form in einem neuen Werk zu nutzen, stellt nach Auffassung des Gerichtshofs eine solche Nutzung keine Vervielfältigung des Tonträgers dar.

Die Technik des elektronischen Kopierens von Audiofragmenten (Sampling), bei der ein Nutzer – zumeist mit Hilfe elektronischer Geräte – einem Tonträger ein Audiofragment entnimmt und dieses zur Schaffung eines neuen Werks nutzt, sei laut dem Gerichtshof eine künstlerische Ausdrucksform, die unter die Freiheit der Kunst falle. Der Gerichtshof begründet seine Abwägung zugunsten der Kunstfreiheit nachvollziehbar damit, dass die entgegenstehende Auslegung es dem Tonträgerhersteller insbesondere ermöglichen würde, sich dagegen zu wehren, dass ein Dritter zum Zweck des künstlerischen Schaffens ein – auch nur sehr kurzes – Audiofragment aus seinem Tonträger entnimmt, obwohl eine solche Entnahme ihm nicht die Möglichkeit nimmt, einen zufriedenstellenden Ertrag aus seinen Investitionen zu erzielen. Mit anderen Worten: Nur weil ein Song kurz gesampelt wird, führt das ja nicht dazu, dass niemand mehr den Ursprungs-Song kaufen möchte.

In Ausübung der Kunstfreiheit dürfe man deshalb bei der Schaffung eines neuen Werks einem Tonträger ein Audiofragment (Sample) entnehmen und es so ändern, dass es im neuen Werk beim Hören nicht wiedererkennbar ist.

Außerdem stellte der Europäische Gerichtshof fest, dass das im deutschen Urheberrecht (§ 24 UrhG) geregelte Recht, ein selbständiges Werk in freier Benutzung des Werkes eines anderen zu schaffen und ohne Zustimmung des Urhebers des benutzten Werkes zu veröffentlichen und zu verwerten, gegen die Richtlinie verstößt, weil es sich um keine in der Richtlinie zugelassene Ausnahme vom Urheberrecht handle. Auf die entsprechende Vorschrift des deutschen Urheberrechts konnte sich Pelham daher nicht berufen.

Zudem stellte der Gerichtshof fest, dass die Vorschriften über Zitate auf solche Samples keine Anwendung finden, die in dem neuen Werk nicht zu erkennen sind.

Nun obliegt es dem Bundesgerichtshof, auf der Grundlage der vom Europäischen Gerichtshof beantworteten Fragen in dem Rechtsstreit eine Entscheidung zu treffen.
/TWA

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