Die EU will mit einer nicht durchdachten Richtlinie zum Urheberrecht die Meinungsfreiheit im Internet gefährden. Die deutsche Bundesregierung gab im Rat der Europäischen Union unter Verstoß gegen den Koalitionsvertrag hierfür grünes Licht. Die Umsetzung der Richtlinie könnte dazu führen, dass auf Internet-Plattformen wie zum Beispiel YouTube, Facebook, Twitter, Instagram, Internetforen sowie Kommentarbereichen unter Zeitungs- und Blogartikeln Zensur betrieben werden muss, um Urheberrechtsverletzungen auszuschließen. Noch ist es nicht zu spät, dagegen zu protestieren. Am 26. März will das Europäische Parlament über die Richtlinie abstimmen.
Der finale Entwurf der Urheberrechtsrichtlinie hat eine riesige Protestwelle im Internet, besonders unter jungen Menschen, ausgelöst, die von den klassischen Medien wie Fernsehen, Radio und Zeitungen weitgehend ungehört blieb. Dies änderte sich erst in dieser Woche, nachdem seit gut zwei Wochen jeweils mehrere tausend Menschen in verschiedenen überwiegend deutschen Großstädten ihren Protest aus dem Internet auf die Straße gebracht und überwiegend gegen Artikel 13 der Richtlinie demonstriert haben. Die Demonstrationen gehen an diesem Wochenende weiter.
Artikel 13 ist der Hauptkritikpunkt an der neuen RICHTLINIE DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES über das Urheberrecht im digitalen Binnenmarkt.
COVER.INFO berichtete erstmals am 8. November 2018. Inzwischen ist
die endgültige Fassung des Entwurfs durchgesickert, die am 26. März dem Europäischen Parlament zur Abstimmung vorgelegt werden soll.
Bedauerlicherweise ist dies die denkbar schlechteste der Entwurfsfassungen, denn sie gefährdet das Grundrecht auf Meinungsfreiheit. Aktuell funktionieren Plattformen wie YouTube, Facebook, Instagram und Twitter so, dass die Nutzer dafür verantwortlich sind, die Urheberrechte zu wahren. Verletzt der Nutzer bei seinem Upload fremde Rechte, haftet er, nicht jedoch die Plattform, wenn diese die Inhalte umgehend löscht, sobald sie davon Kenntnis erlangt.
Artikel 13 verlangt nun von Internet-Plattformen, auf denen Inhalte geteilt werden können, dass sie dafür sorgen, dass nur Inhalte veröffentlicht werden können, wenn die jeweilige Plattform (!) dafür eine Erlaubnis vom Rechteinhaber hat.
Jede Plattform soll sich nun darum bemühen, die Rechte bei den Urhebern zu erwerben. Hier verlangt die Richtlinie etwas praktisch nicht Mögliches. Jede Plattform müsste nämlich versuchen, mit jedem Urheber dieser Welt Verträge zu schließen, ungeachtet dessen, ob es sich z. B. um Bilder, um Musik, um Texte oder andere Werke handelt.
Soweit die Rechte nicht eingeholt werden können, soll die Plattform größte Anstrengungen unternehmen, um zu verhindern, dass Werke veröffentlicht werden können, für die die Rechte nicht erworben werden konnten. Anderenfalls haftet die Plattform für Urheberrechtsverletzungen.
Aber auch hier verlangt der Entwurf der Richtlinie Unmögliches. Wie soll eine Plattform wissen, ob das, was ein Nutzer hochlädt, Urheberrechte verletzt? Die größten Anstrengungen, die sie unternehmen kann, ist, dass sie sogenannte Uploadfilter einsetzt. Das bedeutet, dass ein Algorithmus hochgeladene Inhalte mit bekannten Werken vergleicht und im Falle der Übereinstimmung den Inhalt blockiert. Ein solches Computerprogramm kann nicht erkennen, ob die Verwendung eines fremden Werkes zulässig war, und würde deshalb auch erlaubte Nutzung wie in satirischen Werken oder als Zitat blockieren. Gerade Meinungsäußerungen leben davon, sich mit den Meinungen anderer auseinanderzusetzen und sie hierfür auch zu zitieren. Somit greifen Uploadfilter die Meinungsfreiheit an.
Allerdings können diese Filter allenfalls Inhalte blocken, die sie kennen. Um die ganzen Werke zu speichern und abzugleichen, bedarf es immenser Speicher- und Rechenkapazitäten, die sich nur große Unternehmen leisten können. Trotzdem bleibt ein Haftungsrisiko, wenn der Filter versagt, weil er Werke nicht kennt und deshalb oder aus anderen Gründen nicht erkennt.
YouTube besitzt bereits heute für den Abgleich mit urheberrechtlich geschützten Filmen und Musik einen solchen Filter. Er gilt als der beste und teuerste Uploadfilter der Welt, doch selbst er würde den Anforderungen der Richtlinie nicht genügen und müsste weiterentwickelt werden. Denn er müsste z. B. auch Bilder und Texte in seinem Repertoire haben und müsste auch diese in Videos aufspüren können. Dennoch: Wer den Filter von YouTube verwenden würde, würde sicherlich die Anforderungen der Richtlinie, größte Anstrengungen zu unternehmen, erfüllen. Es steht daher zu befürchten, dass YouTube die Nutzung seines Filters anderen Anbietern zur Verfügung stellen wird und dadurch noch mächtiger werden wird, weil nun auch die Inhalte der anderen Plattformen YouTube bekannt würden und durch YouTube so noch mehr Daten gesammelt werden könnten.
Doch nicht jede Plattform wird sich Uploadfilter leisten können. Dennoch soll nach der Richtlinie sogar eine neu gegründete Plattform nach spätestens drei Jahren die Vorgaben erfüllen müssen – egal, wie profitabel sie ist. Das Internet wird wohl, insbesondere wenn Artikel 13 der Richtlinie durchkommt, nicht wiederzuerkennen sein, weil viele Plattformen in Europa ihre Pforten schließen müssten. Die großen, die übrig bleiben, werden möglicherweise nur noch Ausgewählten erlauben, Inhalte zu veröffentlichen; solchen, denen sie vertrauen, dass sie keine Urheberrechte verletzen werden.
Die jungen Menschen, die dieser Tage dagegen auf die Straße gehen, protestieren vor allem gegen die CDU/CSU und die SPD. Grund dafür ist, dass es die Vertreter dieser Parteien sind, die beabsichtigen, am 26. März im Europäischen Parlament für die Urheberrechtsreform mit ihrem umstrittenen Artikel 13 zu stimmen, und das obwohl sie im aktuellen Koalitionsvertrag vereinbart hatten, dass sie sich gegen Uploadfilter einsetzen würden, weil sie sie für unverhältnismäßig hielten. Die Bundesregierung hingegen hat bereits im Rat der Europäischen Union für die Reform gestimmt, weil sie überwiegend sinnvoll sei. Dass Artikel 13 nicht ausreichend klar formuliert sei, werde hingenommen.
Ein weiterer Kritikpunkt der Reform übrigens ist Artikel 11, der ebenfalls dazu führen kann, dass das Web bald anders aussieht, als man es heute kennt. In vielen sozialen Medien ist es heute üblich, dass, wenn man einen Hyperlink postet, ein Vorschaubild und ein kurzer Textauszug vom Ziel des Links angezeigt werden. Auch Ergebnisseiten von Nachrichten-Suchmaschinen basieren auf diesem Prinzip. Artikel 11 verlangt, dass Presseverlage künftig das Recht erhalten, wenn es sich bei dem Linkziel um ihre Seiten handelt, eine Vergütung zu verlangen.
Die Presse hat also ein Interesse daran, die Urheberrechtsreform als etwas Sinnvolles darzustellen. Am liebsten hätte sie wohl gar nicht darüber berichtet, solange nur im Internet hitzige Diskussionen geführt wurden. Da nun die Menschen auf die Straße gehen, fühlt sich die Presse zu Berichterstattungen verpflichtet, stellt es aber teilweise so dar, als wären die Demonstranten nur Kinder und Jugendliche, die von YouTube instrumentalisiert worden seien. Politiker der CDU haben sogar geleugnet, dass die vielen Beschwerdemails, die sie wegen der Urheberrechtsreform erhalten haben, von Menschen stammen würden. Sie beschuldigten Google als Betreiber von YouTube, diese Mails durch Bots, also Computerprogramme, generiert und versandt zu haben. Dies sei daran erkennbar, dass die Mails überwiegend von Gmail-Adressen aus versandt worden seien. Dass das schlicht daran liegt, dass YouTube-Nutzer als Google-Kunden auch Google-Mail-Accounts haben, wird dabei geflissentlich übersehen.
Während es beispielsweise an diesem und dem kommenden Wochenende
Demonstrationen in einigen deutschen Städten geben wird, sind für den 23. März europaweite Demonstrationen gegen die Urheberrechtsreform geplant. Wie über Julia Reda, Europaabgeordnete der Piratenpartei,
bekannt wurde, soll Manfred Weber (CDU) als Spitzenkandidat der Europäischen Volkspartei versucht haben, die Abstimmung über die Richtlinie vorzuverlegen, damit das Europäische Parlament den Bürgerprotesten zuvorkommt und vollendete Tatsachen schafft. Ohnehin wurde die Fassung der Richtlinie, die dem Parlament vorlegt werden soll, noch nicht in alle Amtssprachen der EU übersetzt. Aber auch die englische Arbeitsfassung wurde der Öffentlichkeit nicht offiziell zur Verfügung gestellt, sodass eine fundierte Auseinandersetzung mit der Richtlinie erst erfolgen konnte, nachdem sie inoffiziell nach außen gedrungen war.
Dabei ist das Ansinnen, das Urheberrecht zu reformieren, der heutigen Lebenswirklichkeit anzupassen und den Urhebern angemessene Vergütungen zukommen zu lassen, zu begrüßen. Das sehen auch die meisten Gegner von Artikel 13 so. Die Regelung in Artikel 13 ist aber schlichtweg ungeeignet, dieses Ziel zu erreichen. Sie droht vielmehr, das Internet in seiner jetzigen Form, mit dem viele kreative Urheber ihren Lebensunterhalt verdienen, zu zerstören. Dabei ginge nicht nur ein Netzwerk für gute Unterhaltung verloren, sondern es steht, wenn jede Plattform aus Angst vor Haftung wegen Urheberrechtsverletzungen in großem Ausmaß filtert, auch die Meinungsfreiheit als eine der Grundsäulen unserer Demokratie auf dem Spiel.
Deshalb ist es wichtig, seine Stimme zu erheben und gegen Artikel 13 der Urheberrechtsrichtlinie zu protestieren. Die Orte und Termine der Demos gibt es unter
https://savetheinternet.info/demos.
Update vom 22.03.2019:
Die amtliche deutsche Übersetzung der Richtlinie, über die am 26. März im Europäischen Parlament abgestimmt werden soll, liegt jetzt vor. Da der Entwurf nun finalisiert ist, wurde die Nummerierung angepasst. Artikel 11 ist jetzt Artikel 15 (Seite 117 der verlinkten PDF-Datei) und Artikel 13 ist jetzt Artikel 17 (Seite 121). Der diesem Artikel zugrunde liegende Begriff des Diensteanbieters für das Teilen von Online-Inhalten ist in Artikel 2 Ziffer 6 definiert (Seite 91).
/TWA