Samstag, 22. September 2007

Erneute Reform des deutschen Urheberrechts beschlossen

Bundestag und Bundesrat haben eine erneute Änderung des Urheberrechts beschlossen, die voraussichtlich am 01.01.2008 in Kraft treten wird. Ziel dieses so genannten Zweiten Korbs des Urheberrechtsgesetzes (zum Ersten Korb siehe den News-Artikel vom 12.09.2003) ist es, das deutsche Urheberrecht an die Entwicklungen im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologie anzupassen. Auf einige wesentliche Änderungen der Rechtslage soll im Folgenden eingegangen werden.




PAUSCHALVERGÜTUNG


Neu geregelt wurde zunächst einmal die Pauschalvergütung nach den §§ 54 ff. des Urheberrechtsgesetzes (UrhG). Dabei geht es um einen finanziellen Ausgleich für die Fälle, in denen Urheber kraft Gesetzes einer Vervielfältigung nicht widersprechen können (so genannte Schranken des Urheberrechts), zum Beispiel bei Privatkopien (§ 53 I UrhG, siehe unten) und bei wissenschaftlichem Gebrauch (§ 53 II Nr. 1 UrhG). Derartige Vergütungsansprüche können nach wie vor nur über eine Verwertungsgesellschaft wie beispielsweise die Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte (GEMA) geltend gemacht werden. Neu geregelt wurde insbesondere die Höhe der Pauschalvergütung, die zu entrichten ist von Herstellern von Geräten und Leermedien, die das Kopieren von urheberrechtlich geschützten Werken ermöglichen, also z. B. CD-Brennern und CD-Rohlingen. Für die Höhe der Vergütung soll es nunmehr darauf ankommen, in welchem Umfang ein Gerät tatsächlich zur Nutzung von urheberrechtlich geschütztem Material verwendet wird und nicht mehr nur darauf, ob man mit einem solchen Gerät kopieren kann. Dies soll für mehr Gerechtigkeit sorgen.




PRIVATKOPIEN

Einzelne Kopien aus nicht offensichtlich rechtswidrigen Quellen


Die für den Verbraucher sicherlich wichtigste Frage ist die nach der Zulässigkeit von Privatkopien. Bestehen bleibt die Befugnis von Privatleuten, einzelne Vervielfältigungen eines Werkes zum privaten Gebrauch auf beliebigen Trägern anzufertigen oder sich unentgeltlich anfertigen zu lassen, soweit dies nicht Erwerbszwecken dient (§ 53 I UrhG). War seit dem Ersten Korb die Privatkopie bei Verwendung von "offensichtlich rechtswidrig hergestellte[n] Vorlage[n]" verboten, so umfasst dieses Verbot nun auch die Verwendung zwar rechtmäßig hergestellter, aber rechtswidrig öffentlich zugänglich gemachter Vorlagen. Der Download von Werken in Peer-to-Peer-Tauschbörsen ist also jetzt auch dann unzweifelhaft verboten, wenn die Anfertigung der entsprechenden Datei durch denjenigen, der sie bereitgestellt hat, rechtmäßig war, er aber nicht das Recht hatte, die Datei in eine Tauschbörse einzustellen. Durch die Verwendung des Begriffs "offensichtlich" will der Gesetzgeber deutlich machen, dass den User keine Nachforschungs- bzw. Prüfpflicht trifft. Vielmehr kommt es darauf an, ob "die öffentliche Zugänglichmachung für den jeweiligen Nutzer nach seinem Bildungs- und Kenntnisstand offensichtlich rechtswidrig" erscheint (Bundestags-Drucksache Nr. 16/1828, S. 26).

Nach wie vor nicht geregelt ist, wie viele Kopien ein Privatmann machen darf, das Gesetz spricht ja lediglich von "einzelnen". Das Bundesjustizministerium vertritt hierzu die Auffassung, dass dies vom Einzelfall abhänge, etwa von der Familiengröße (Onlinekosten.de, Artikel "Urheberrecht: Wann das Kopieren künftig erlaubt ist" vom 10.07.2007).

Keine Umgehung von Kopierschutzmechanismen

Weiterhin bleibt nach § 95a UrhG das Kopieren aber dann verboten, wenn zu diesem Zweck ein technischer Kopierschutzmechanismus umgangen werden müsste. Der Rechteinhaber entscheidet also, ob eine digitale Privatkopie seines Werkes erlaubt ist oder nicht, indem er entweder auf eine Kopierschutzvorrichtung verzichtet oder eine solche einrichtet. (Für analoge Kopien ist eine Umgehung eines etwaigen Kopierschutzes nicht erforderlich, so dass einzelne analoge Privatkopien stets erlaubt sind.)
Unverändert bleiben die Strafvorschriften der § 106 ff. UrhG, insbesondere wurde keine Bagatellklausel eingeführt, was ursprünglich diskutiert worden war. Dadurch können auch eher unbedeutende Urheberrechtsverstöße weiterhin strafrechtlich verfolgt werden.

Kein vollständiges Verbot digitaler Kopien


Dem Vorschlag der phonographischen Wirtschaft, digitale Privatkopien gänzlich zu verbieten und nur analoge Vervielfältigungen zuzulassen, ist der Gesetzgeber bewusst nicht gefolgt. Er ist der Meinung, "[e]in solches Verbot würde die soziale Realität ignorieren und die Autorität und Glaubwürdigkeit der Rechtsordnung untergraben. Digitale Vervielfältigungsgeräte würden damit für überwiegend rechtswidrige Zwecke angeboten und genutzt [... und] auch digitale Mitschnitte von Rundfunk- und Fernsehsendungen der öffentlich-rechtlichen Sendeunternehmen [wären] verboten" (Bundestags-Drucksache Nr. 16/1828, S. 19). Auch würde damit Timeshifting – zeitversetzter Rundfunkempfang, bei dem eine Sendung aufgezeichnet wird und schon wiedergegeben wird, noch bevor die Aufnahme beendet ist – unzulässig. Viele Leute hätten sich aber schon an Timeshifting gewöhnt, so dass sie sich an das Verbot ohnehin nicht halten würden.

Keine "Kulturflatrate"


Ebenso wenig wurde dem Vorschlag von privatkopie.net entsprochen, die Onlinenutzung von Werken generell zu erlauben und den Urheber dafür nur pauschal zu entschädigen (vgl. oben "Pauschalvergütung"). Damit würde die normale Auswertung von Werken, insbesondere Vermarktung, im Internet unmöglich gemacht. Dies würde die berechtigten Interessen des Urhebers unzumutbar verletzen, denn dieser muss – insbesondere im Hinblick auf die Eigentumsgarantie von Artikel 14 des Grundgesetzes – das Recht haben, sein Werk umfassend zu verwerten. Da die Internetverwertung von Werken keinen Sonder-, sondern einen Regelfall darstellt, wäre eine solche Regelung wohl verfassungsrechtlich auch nicht haltbar, denn Urheberrechtsschranken darf es nur in Ausnahmefällen geben. Zu einer so genannten Kulturflatrate, also einer pauschalen Zwangsabgabe für Inhaber von Internetanschlüssen, mit deren Entrichtung digitale Kopien über das Internet abgegolten wären, kommt es also nicht.

Befugnis zur Privatkopie gibt kein Recht auf Privatkopie


"Der Gesetzgeber des Jahres 1965 hat die Privatkopie zugelassen, weil ein Verbot mangels Durchsetzbarkeit für den Urheber ohne Nutzen gewesen wäre und der Gesetzgeber dem Urheber über die Gerätevergütung wenigstens einen finanziellen Ausgleich für die unkontrollierbare Nutzung seiner Werke sichern wollte." (a. a. O., S. 20) "Den Verbrauchern ist aus der Befugnis zur Privatkopie, die 1965 aus der Not der geistigen Eigentümer geboren wurde, kein Recht erwachsen, das sich heute gegen das geistige Eigentum ins Feld führen ließe." (ebenda) Ein Recht auf digitale Privatkopien auch bei Vorhandensein von technischen Schutzmaßnahmen darf es nach Ansicht des Gesetzgebers nicht geben. Der von der Verfassung verlangte Schutz des Urhebers erfordert eine Möglichkeit für den Urheber, digitale Kopien zu unterbinden, sonst wäre eine kommerzielle Verwertung von Werken in den neuen Medien kaum noch möglich. Der Gesetzgeber stellt klar: "Es darf nicht sein, dass ein kostenloser Genuss von geistigem Eigentum für den Verbraucher zur Regel wird. Es gilt vielmehr, auch durch die Regelung der Privatkopie zu vermitteln, dass geistiges Eigentum – wie Sacheigentum – seinen Preis hat. Gerade Deutschland als rohstoffarmes Land ist auf einen entsprechenden gesellschaftlichen Konsens angewiesen. Nur wenn das Ergebnis von Kreativität angemessen bezahlt wird, wird es auch künftig Inhalte geben, die vom Verbraucher genutzt werden können." (ebenda)





DIGITALISIERUNG VON BIBILIOTHEKSBESTÄNDEN

Der neue § 52b UrhG erlaubt die Digitalisierung von Bibliotheksbeständen. Öffentlichen Bibliotheken, Museen und Archiven wird zur Erfüllung ihres Bildungsauftrags erlaubt, ihre Bestände auch in digitaler Form an eigens dafür eingerichteten elektronischen Leseplätzen zu Zwecken der Forschung und für private Studien zugänglich zu machen. Allerdings muss auch hierfür über eine Verwertungsgesellschaft eine Vergütung an die Urheber bezahlt werden. Diese Vorschrift gestattet aber nur das Anbieten einer digitalen Version von solchen Werken, die die entsprechende Einrichtung tatsächlich in ihrem Bestand hat, und dies auch nur in den Räumen der Einrichtung, nicht etwa von außen über das Internet. Der Gang in die Bibliothek wird dem Interessierten damit nicht erspart. "Eine Beschränkung dahingehend, dass nicht mehr Exemplare eines Werkes gleichzeitig an den elektronischen Leseplätzen zugänglich gemacht werden dürfen, als die Sammlung der jeweiligen Einrichtung umfasst, erscheint [dem Gesetzgeber] nicht erforderlich." (a. a. O., S. 26) Damit können also zum Beispiel auch vier oder fünf Besucher einer Bibliothek gleichzeitig in einem digitalisierten Buch stöbern, von dem die Bibliothek nur drei Exemplare hat. Dies könnte einen Anreiz schaffen, künftig von jedem Buch nur noch ein Exemplar zu erwerben. Der Gesetzgeber vertraut aber darauf, dass sich "das Anschaffungsverhalten der Bibliotheken ... aufgrund dieser Schrankenbestimmung [gemeint ist der neue § 52b UrhG] nicht ändern [wird]. Die Bibliotheken werden dazu entsprechende Selbstverpflichtungserklärungen abgeben." (ebenda)





NEUE NUTZUNGSARTEN

§ 31 IV UrhG wird aufgehoben und durch eine Neuregelung, den § 31a UrhG, ersetzt. Erstere Vorschrift erklärte bisher die Einräumung von Nutzungsrechten für noch nicht bekannte Nutzungsarten für unwirksam. Hatte beispielsweise vor etlichen Jahren ein Verlag vom Urheber vertraglich das Recht erworben, einen bestimmten Text als Buch herauszugeben, bezog sich diese Erlaubnis nicht auf E-Books, die es damals noch gar nicht gab und an die daher die Vertragsparteien noch nicht denken konnten. Wegen § 31 IV UrhG wäre eine Vertragsklausel, wonach eine "buchähnliche" Verwertung im Rahmen des neuesten Standes der Technik auch erlaubt sein würde, zum Schutz des Urhebers, der ja nicht wissen konnte, was die Zukunft an Technologien bringt und worauf er sich damit einlässt, unwirksam. Diese Regelung wird für nicht mehr zeitgemäß gehalten. Denn sie sorgte dafür, dass ein Verwerter für neue Medien Nutzungsrechte nacherwerben musste und dafür den Urheber oder seine Erben ausfindig machen musste, was oft faktisch nicht möglich oder mit hohen Kosten verbunden war. Unter bestimmten Voraussetzungen sind solche Vertragsvereinbarungen daher nunmehr möglich (§ 31a UrhG).




FAZIT UND KLARSTELLUNG

Die geplante Reform des Urheberrechts bringt für den Normalverbraucher kaum Änderungen.

Die Befugnis zur Privatkopie bleibt bestehen; digitale Vervielfältigungen sind aber nur bei nicht kopiergeschützten Werken erlaubt. An dieser Stelle sei klargestellt, dass das Urheberrechtsgesetz in den §§ 69a ff. Sonderregelungen für Computerprogramme enthält. Eine Befugnis zur Privatkopie besteht demnach bei Software nicht!

Der Gesetzgeber hat deutlich gemacht, dass Downloads von kommerziellen Werken (z. B. Musik, Filme) über Peer-to-peer-Tauschbörsen grundsätzlich nicht zulässig sind und dass man dafür bestraft werden kann. Der Rahmen der Privatkopie ist nämlich überschritten, wenn man Musik mit wildfremden Menschen tauscht.

Die Änderung der Regelungen über die Höhe der Pauschalvergütung könnte zu Preisänderungen bei Vervielfältigungsgeräten und -medien wie CD-/DVD-Brennern, Druckern, CD-/DVD-Rohlingen und Fotokopierern führen.

In öffentlichen Bibliotheken und Museen werden die Besucher in Zukunft elektronische Leseplätze vorfinden.



Nachtrag vom 02.11.2007: Das neue UrhG wurde am 31.10.2007 verkündet und tritt tatsächlich wie angekündigt am 01.01.2008 in Kraft.

Thomas Wagner