Mittwoch, 23. Oktober 2024

Schall & Platte

In diesem Blog-Artikel möchten wir Euch ein paar Fakten und auch Geschichten nahebringen, zu dem Tonträger, der in unserer Datenbank in großer Anzahl vorhanden ist – der Schallplatte. Vieles davon ist dem einen oder anderem von Euch sicher bekannt und man kann es auch in diversen Wikipedia-Artikeln nachlesen, aber wir möchten es hier für Euch, einmal gebündelt und mit ein paar Geschichten angereichert, darbieten.

Schall aufzuzeichnen gelang nachweislich zuerst dem Franzosen Édouard-Léon Scott de Martinville. Er meldete 1857 das Prinzip des Phonoautomaten zum Patent an. Die Umsetzung zog sich dann aber etwas hin, denn es gelang ihm erst am 9. April 1860, das französische Kinderlied „Au clair de la lune“ aufzunehmen. Mit Hilfe eines großen Trichters und einer daran befindlichen Membran, an der eine Schweineborste befestigt war, konnte er die Schwingungen des Schalls auf eine mit Ruß geschwärzte Walze übertragen.

Nur wiedergeben konnte er damit die aufgezeichneten Töne natürlich nicht, er konnte sie sich nur ansehen. Erst 2008 ist es gelungen, die von Martinville aufgezeichneten Töne hörbar zu machen. In den Archiven der Académie des sciences war ein Phonoautogramm von 1860 gefunden worden, das im Lawrence Berkeley National Laboratory rekonstruiert und hörbar gemacht werden konnte. So konnte man 148 Jahre nach der Aufnahme die Stimme von Scott de Martin hören, der „Au clair de la lune“ sang.

Schallaufzeichnungen auch wiederzugeben, gelang zuerst 1877 Thomas Alva Edison mit seinem Phonographen. Edison war ein genialer Erfinder und Geschäftsmann, dem die Welt der Technik sehr viel verdankt. Gegen die Bezeichnung ‚Genie‘ hat er sich aber stets gewehrt, mit seinen Worten war Genialität 1 % Inspiration und 99 % Transpiration. Der von ihm entworfene und zum Patent angemeldete Phonograph war von seinem langjährigen Partner John Kruesi gebaut worden. Die Töne wurden in Höhenschrift, entsprechend der Vibration der Membran am Ende des Schalltrichters, von einem Stift in eine mit Zinnfolie bespannte Walze eingraviert. Auch hier war die erste Aufzeichnung ein Kinderlied „Mary Had A Little Lamb“. Die Töne, die dann wiedergegeben werden konnten, waren aber unsauber und mit starken Nebengeräuschen behaftetet. Edison selbst – sonst cleverer Geschäftsmann – sah zuerst keinen großen wirtschaftlichen Vorteil in seiner Erfindung und wandte sich anderen Bereichen zu. Diesen Fehler hat er aber später erkannt und sich dann doch noch diesem Fachgebiet gewidmet.

In Frankreich reichte Charles Cros (von Hause aus eigentlich Dichter und Autor) 1877 eine Arbeit bei der Naturwissenschaftlichen Akademie ein, in der er das von Edison benutzte Prinzip der Schallaufzeichnung über einen Stift an einer Membran und dessen Gravur in eine Metallfolie und die anschließende Wiedergabe anschaulich beschrieb – ohne Edisons Arbeit zu kennen. Cros nannte sein konzipiertes Gerät ‚Paléophone‘, es kam aber nie zur Realisierung dieser Idee. Wie bei so vielen anderen Erfindungen, die parallel an verschiedenen Orten der Welt geboren wurden, war die Zeit einfach reif dafür – man denke nur an das Telefon, das ja auch mehrere Väter hat.

Da Edison aus wirtschaftlichen Gründen seine Erfindung vorerst nicht weiterentwickelte, nahmen sich Chichester Alexander Bell und Charles Sumner Tainter im Volta Laboratory der Erfindung an und entwickelten die Phonographenwalze mit einer Wachsbeschichtung. Edison lehnte zwar eine Kooperation mit den beiden Erfindern ab, begann dann aber doch selbst seine Erfindung nach diesem Prinzip zu verbessern. Er war aber in erster Linie an der Vervielfältigung der Tonaufnahmen interessiert. In der Anfangszeit wurden mehrere Phonographen nebeneinander aufgestellt und gleichzeitig gestartet. Die Künstler mussten das Stück dann viele Male hintereinander spielen, um eine ausreichende Menge an Walzen für den Verkauf zu produzieren. Ein wirklich effektives Kopier-Verfahren zum Herstellen von Phonographenwalzen entstand erst 1902.

Inzwischen war ein weiterer Akteur auf dem Gebiet der Tonaufzeichnung erschienen, der das gesamte System revolutionieren sollte und der eigentliche Erfinder der Schallplatte ist. Emil Berliner (ein in Hannover geborener Deutscher, der 1870 in die USA auswanderte) meldete 1887 ein Patent auf einen scheibenförmigen Tonträger an, auf dem von außen nach innen schneckenförmig eine Rille geritzt war, welche die Tonschwingungen in Seitenschrift enthielt. Der große Vorteil der Schallplatte war, dass sie von Beginn an industriell gefertigt werden konnte und nicht einzeln bespielt werden musste. Anfangs bestanden Berliners Platten aus Hartgummi, später wurde eine Mischung aus Baumwollflocken, Schieferpulver, Ruß und Schellack verwendet - ein seinerzeit sehr preiswertes Rohmaterial.

Neben der einfachen Reproduzierbarkeit hatte die Schallplatte gegenüber dem Edison-Zylinder auch noch den Vorteil, dass sie ab 1904 zweiseitig hergestellt werden konnte, also auf jeder Seite ein Musikstück enthielt. Ab 1911 präsentierte auch Edison Schallplatten, die Edison-Diamond-Disc. Wie seine Phonographen-Walzen erfolgte auch hier die Schallaufzeichnung in Tiefenschrift, im Unterschied zu Emil Berliners Platten, welche den Schall in Seitenschrift aufzeichneten. Diamond-Disc konnten nicht mit dem damals schon weit verbreiteten Grammophon abgespielt werden, das hätte die Platten sofort zerstört.

Das beginnende 20. Jahrhundert war auf dem Gebiet der Schallaufzeichnung vor allem durch eine Vielzahl konkurrierender Systeme gekennzeichnet, die alle untereinander inkompatibel waren. Auch die französiche Firma Pathé stellte Schallplatten in Tiefenschrift her, die weder mit den Schallplatten von Berliner noch mit denen von Edison kompatibel waren. Mitte der 1920er Jahre hatte sich aber die von Emil Berliner entwickelte Schallplatte durchgesetzt und alle anderen Systeme verschwanden nach und nach vom Markt. Die letzten Phonographenwalzen (Edison Blue Amberol) kamen 1929 in den Handel.

Die Schellackplatte gab es in einer Vielzahl von Größen, bevor sich die noch bis in die 1960er Jahre üblichen 10″- und 12″-Scheiben durchsetzen. Bei uns in der Datenbank findet Ihr neben den gängigen Formaten auch 6″-, 7″-, 8″- und 9″-Scheiben, wenn diese auch nicht sehr zahlreich bei uns vertreten sind. Mit der Geschwindigkeit wurde ebenfalls sehr viel experimentiert. Von 50 RPM bis 100 RPM gab es alle möglichen Abspielgeschwindigkeiten, bis sich letztendlich die Geschwindigkeit von 78 RPM allgemein durchgesetzt hatte.



Während des zweiten Weltkrieges wurde das Material Schellack knapp und teuer und so entwickelte man in den 1940er Jahren ein neues Material für die Plattenproduktion – Polyvinylchlorid, umgangssprachlich nur Vinyl genannt. Erstaunlich ist, dass die erste Vinylplatte von RCA Victor bereits 1930 auf den Markt gebracht wurde – sie hatte einen Durchmesser von 30 cm (12″) und wurde mit 33 13 RPM abgespielt. Kommt Euch das bekannt vor? Erfolg war dieser Entwicklung allerdings nicht beschieden, sie kam einfach zu früh und der Mangel an geeigneten Wiedergabegeräten war der Hauptgrund dafür. Ende der 1930er Jahre begann man, Radioprogramme und Werbespots aufzuzeichnen und auf Vinyl gepresst an andere Sender zu verschicken, da diese Platten nahezu unzerbrechlich waren und auch den rustikalen Transport der damaligen Zeit überstanden. Man entdeckte dann auch den Markt für Kinder, und da Schellackplatten auf Grund ihrer Zerbrechlichkeit für Kinder nicht wirklich geeignet waren, kamen hier die ersten Vinylplatten in den Handel. Es gab sie nicht nur in der bisher üblichen Größe von 10″, auch kleinere Formate wurden hergestellt. Sie wurden mit 78 RPM und den normalen, stählernen Grammophonnadeln abgespielt.

In größerem Umfang kamen Vinylplatten erstmals als sogenannte V-Disc (Victory Disc) von 1942 bei der US-Armee zum Einsatz, um die GIs mit Unterhaltungs- und klassischer Musik zu versorgen. Während des Aufnahme-Streiks der US-Musikschaffenden (August 1942 bis November 1944) waren V-Disc die einzigen in den USA zugelassenen Einspielungen mit Instrumentalmusikern. V-Disc hatten in der Regel einen Durchmesser von 12" und liefen mit 78 RPM, seltener mit 33 13 RPM. Aber die klassische, stählerne Abtastnadel war für diese Vinylplatten tabu, sie wurden mit dem kleineren Mikrosaphir abgespielt.

Größeren kommerziellen Erfolg hatten die Vinylplatten vorerst nicht, obwohl man sich der Vorteile der besseren Tonqualität und der längeren Laufzeit und Haltbarkeit ohne weiteres bewusst war. Der Grund dürfte vor allem darin gelegen haben, dass man neue Abspielgeräte benötigte, die noch teuer und nicht in größerem Umfang vorhanden waren. Das änderte sich 1948 grundlegend, als Columbia Records mit der 12"-Langspielplatte (LP) und einer Abspielgeschwindigkeit von 33 13 RPM auf den Markt kam. Entwickelt wurde sie von Peter Carl Goldmark, einem in Budapest geborenen US-Ingenieur, der dafür in die National Inventors Hall of Fame aufgenommen wurde. Das war nicht seine einzige bedeutende Entwicklung. Noch bekannter wurde Goldmark, als er 1940 das erste funktionierende Farbfernsehsystem vorstellte.

Und 1949 brachte RCA Victor das Medium auf den Markt, das ein paar Jahre später der Brandbeschleuniger des Rock ‘n’ Roll werden sollte. Als Konkurrenzmodel zur Columbia-LP entwickelte RCA-Victor die 7"-Single (17,5 cm) mit großem Mittelloch, die mit 45 RPM abgespielt wurde. Man entschied sich für dieses Format, weil sich fast alle Musikstücke in 5-Minuten-Takes unterteilen lassen. Um mit der Abspiellänge der Columbia-LP mithalten zu können, wurden von RCA-Victor für ihr Format automatische Plattenwechsler angeboten. Beide Formate wurden zunächst als Konkurrenz vermarktet, die angebotenen Plattenspieler hatten zuerst auch nur jeweils eine Geschwindigkeit und man musste sich für 33 13 RPM oder 45 RPM entscheiden. So einen „Formate-Krieg“ gab es ja schon bei der Schellackplatte und ebenfalls einige Jahre später bei den Audio-Kassetten und Video-Kassettensystemen. Erst Mitte der 1950er Jahre wurden Plattenspieler angeboten, die alle drei damals üblichen Geschwindigkeiten (33 13, 45 und 78 RPM) abspielen konnten.



Die LP wurde von der Elterngeneration bevorzugt, aber die Kids liebten die 7"-Single! Sie kostete nur ein paar Cent, war leicht zu transportieren, um sie bei den Freunden abzuspielen und vor allem die damals auf den Markt kommenden batteriebetriebenen Plattenspieler waren der Hit für die Teenager. Damit konnte man sich ins Freie verziehen, wo kein Vater und keine Mutter brüllten, dass man die Musik leiser machen sollte. Koffergrammophone gab es zwar schon lange, aber sie waren groß und unhandlich. Dazu darf man nicht vergessen, dass eine 10″-Schellackplatte ein recht großes Gewicht hatte (150 bis 200 g) und wenn man 20 bis 30 Platten mitnahm, hatte man schon ein paar Kilo zu schleppen. Da war das Leichtgewicht 7" ein echter Vorteil.

Wir lehnen uns mal ganz weit aus dem Fenster und behaupten, ohne die 7″-Single hätte es die schnellen Erfolge der Pop-Musik und auch des Rock ‘n’ Roll nicht gegeben. Die Jukebox, für die die 7″-Single nun das ideale Medium darstellte, beförderte die Entwicklung der Popmusik noch weiter. Maschinen, die nach Münzeinwurf Musik abspielten, gab es zwar schon lange, aber mit der nahezu unzerbrechlichen Vinylsingle und deren leichter Handhabbarkeit stieg die Popularität der Jukeboxen. Jedes Lokal das etwas auf sich hielt, stellte eine Wurlitzer, Seeburg oder Rock-Ola bei sich auf. Die Musikindustrie hatte das schnell erkannt und produzierte neben den LPs auch jede Menge Singles, oft auch als vorab Veröffentlichung einer LP oder eines Albums.

Man erprobte auch neue Formate. So gab es Anfang der 1950erJahre die EP in 7″-Größe, die auf beide Seiten verteilt normalerweise vier, manchmal aber auch sechs oder acht Songs enthielt. EPs liefen anfangs mit 45 RPM, aber bald stellte man auch EPs her die mit 33 13, RPM abgespielt wurden. Die dadurch verminderte Klangqualität nahm man in Kauf, da man der Popmusik darauf sowieso keinen großen künstlerischen Wert beimaß. Und die Singles wurden bunt! Nicht nur das langweilige Schwarz lag auf dem Plattenteller, es gab sie bald in allen Farben, auch glasklar und durchsichtig. All die sind heute oftmals begehrte Sammlerstücke, nur abspielen sollte man sie nicht allzu oft, sie rauschten stärker, verschleißen selbst und auch den Tonabnehmer.

Ende der 1960er Jahre kamen dann die ersten Picture Discs auf den Markt. Singles (später auch LPs), die nicht einfarbig waren, sondern ein Bild zeigten. Auch diese sind heute begehrte Sammlerstücke mit ähnlichen Schwächen bei der Tonqualität. Und noch ein Sammlerstück kam auf den Markt: die Shape-Disc. Diese war nur an der Stelle rund, die für das Abspielen der Musik erforderlich war. Darüber hinaus waren alle Formen möglich, die noch auf den Plattenteller passten. Man konnte das Band-Logo in ausgeschnittener Form verwenden, ein Motiv des Songs oder was auch immer der Band oder dem Marketing einfiel. Wie viele Tonabnehmernadeln diese Singleform auf dem Gewissen hat, lässt sich nicht sagen, aber ungefährlich waren die Dinger nicht. Man musste schon verdammt aufpassen, wo man den Tonarm absenkte, denn die Einlaufrille war oft dicht am eckigen oder gezackten Rand. Shape-Discs fanden dann sogar bis heute ihre Fortsetzung als Shape-CDs.



Schon in den 1950er Jahren kamen Flexi-Discs auf den Markt, Schallplatten aus einem flexiblen Material oder auch plastikbeschichteter dünner Pappe. Beliebt als klingende Urlaubsgrüße im Postkartenformat oder auch als Beilagen von Fanzeitschriften. In der Sowjetunion erschien über einige Jahre hinweg mit „Кругозор“ ein Jugendmagazin, das bis zu zehn solcher flexibler Musikfolien enthielt, die sogar beidseitig abgespielt werden konnten. Die Klangqualität dieser Flexis war natürlich mit den Vinylplatten nicht zu vergleichen, aber sie waren eine Zeit lang ein beliebtes Medium.

Eine besonders delikate Form der Flexi-Discs waren die in der Sowjetunion illegal auf Röntgenfolien geschnittenen ‚Ribs‘ (рёбра), auch ‚Musik auf den Rippen‘ (Музыка на рёбрах) oder ‚Jazz auf Knochen‘ (Джаз на костях) genannt. Röntgenfilme konnte man aus dem Müll von Krankenhäusern fischen oder dort auch billig kaufen. Die Folien wurden auf 7″-Größe geschnitten, das Mittelloch einfach mit einer Zigarette reingebrannt und die Musik mit 78 RPM in die Folie geschnitten. Die Qualität war natürlich grauenhaft, aber so konnte sich in den 1950er und 1960er Jahren Musik in der Sowjetunion verbreiten, die dort verboten war.

Im Jahr 1989 überstieg dann in Deutschland die Anzahl der produzierten CDs mit 56,9 Mio. Stück erstmals die Anzahl der produzierten Vinyl-LPs (48,3 Mio. Stück). In den USA war das bereits im Vorjahr passiert. Nun konnte man eine Textzeile von Hildegard Knef zitieren: „Von nun an ging’s bergab“. Der Tiefpunkt war das Jahr 2001, da standen 0,6 Mio. in Deutschland produzierten LPs 133,7 Mio. CDs gegenüber. Aber wie es oft so ist – Totgesagte leben länger! Nachdem über die Hungerjahre des ersten Jahrzehnts des 21. Jahrhunderts nur wenige, beinharte Fans dem Vinyl die Treue gehalten haben, wurden 2022 wieder 4,3 Mio. LPs produziert und auch weltweit erlebte das Vinyl eine Renaissance. Nicht nur das, es fanden vielen Künstler es sogar wieder chic, ihre Songs auf eine 7″-Single zu pressen. Es wurden sogar neue Presswerke gebaut und modernere Pressen entwickelt. So wurden in den USA 2022 erstmals wieder mehr LPs als CDs verkauft. Gut, aber auch der CD geht es heute dank der Streaming-Dienste auch nicht so besonders.

Man könnte noch sehr, sehr viel mehr über die Schallplatte schreiben: Wann die ersten Stereo-Platten verkauft wurden und welche Systeme dort zur Anwendung kamen. Warum sich die MiniDisc (MD) von Sony als Nachfolger der Kompaktkassette nicht durchsetzen konnte und welche anderen Systeme in den 1990er Jahren versuchten, der CD Konkurrenz zu machen. Wir möchten es damit aber erst einmal bewenden lassen – es sind ja ausreichend Links im Text enthalten, so dass jeder neugierige User selbst nachlesen und im Netz stöbern kann.

Auf jeden Fall haftet einer Schallplatte etwas Besonderes an, mit dem eine CD (erst recht ein gestreamter Song) nicht mithalten kann. Man nimmt sie aus der dekorativen Hülle, legt sie vorsichtig auf den Plattenteller, entfernt den Staub mit einem weichen Bürstchen, setzt dann sanft den Tonarm in die Anlaufrille, lehnt sich zurück und genießt die Musik – ein kleines Ritual. Und die Coverhüllen der LPs waren sehr oft richtige kleine Kunstwerke (manchmal skandalträchtige, aber das ist wieder ein anderes Thema). Wen es interessiert, welcher Aufwand in den 1970er und 80er Jahren für Entwurf und Produktion von Coverhüllen betrieben wurde (und wie viel Geld die Plattenfirmen bereit waren, dafür zu zahlen), dem sei der Dokumentarfilm „Squaring the circle“ empfohlen, die Geschichte der Firma „Hipgnosis“.



Dann viel Spaß beim weiteren Stöbern im Netz zum Thema „Schallplatte“ und wir freuen uns natürlich über Kommentare.

/AME

Sonntag, 3. März 2024

„Nomen est omen“ oder woher haben Bands ihre Namen?

Wenn man den Namen einer Band liest, fragt man sich oft, wie die Musiker darauf gekommen sind. Bei „Dave Dee, Dozy, Beaky, Mick & Tich“ ist es einfach, da haben die Bandmitglieder einfach ihre Namen bzw. Spitznamen genommen.

Auch für die Klaus Renft Combo ist es leicht. Klaus Jentzsch (seine Großmutter hieß Renft und er hat diesen Künstlernamen angenommen) als Bandgründer und -Leader hat das entschieden. Die Puhdys haben es sich auch einfach gemacht, die Anfangsbuchstaben ihrer Vornamen genutzt und erst ein „y“ („Puhdy-Quartett“) und schließlich noch ein „s“ drangehängt. 

Bei den Beatles und den Rolling Stones ist die Namensfindung im Wesentlichen bekannt, aber wie kommt man darauf, sich „Death Cab for Cutie“ oder „10cc“ oder „Acht Eimer Hühnerherzen“ zu nennen?

Fangen wir mal mit den einfachen Sachen an. John Lennon benannte seine erste Band The Quarrymen nach der Schule, die er und andere Bandmitglieder besuchten. Da Lennon Buddy Holly sehr verehrte, wurde daraus auf Vorschlag von Stuart Sutcliffe „Beatals“, später „The Silver Beetles“ als Hommage an dessen Band „The Crickets“ – so sagen es die einschlägigen Quellen. Was allerdings „The Crickets" (Die Grillen) mit Käfern zu tun hat, erschließt sich nicht wirklich, außer das beide Insekten sind. Der Name „The Beatles“ entstand dann wohl in Deutschland, als die Band (damals noch mit Stuart Sutcliffe und Pete Best) im Hamburger Strip-Club „Indra“ auftraten. Die Geschichte, dass – nachdem Astrid Kirchherr den Bandmittgliedern die Pilzkopf-Frisur verpasst hatte (erfunden vom Fotografen Jürgen Vollmer) – Paul McCartney gesagt hätte: „Hey wir sehen ja aus wie Käfer!“ und sich daraus der Bandname ableitete, muss wohl eher ins Reich der Legende verwiesen werden.

Für die Rolling Stones wird die Geschichte kolportiert, dass Brian Jones bei einer Zeitungsredaktion anrief, um eine Anzeige für ein Konzert der Band zu platzieren. Als er gefragt wurde, wie die Band denn heißen würde, antwortete er: „Rollin’ Stone“. Angeblich hatte er diese Platte auf dem Boden vor sich liegen. Wirklich verbürgt ist die Geschichte nicht, aber Muddy Waters hat beim Bandnamen eine wichtige Rolle gespielt, egal ob mit der Textzeile „I’m a rollin’ stone“ oder mit dem Songtitel „Rollin’ Stone“. Schließlich hat eine seiner Platten Jagger und Richards auf dem Bahnhof Dartford zusammengebracht.

The Who hießen zu Beginn „The Detours“, später dann „The High Numbers“. Ihr neuer Manager Peter Meaden riet der Band, die dafür bekannt war, während des Auftritts ihre Instrumente zu zerlegen, einen anderen Namen zu wählen, der kürzer und rebellischer sein müsse. Nach Ansicht von Pete Townshend wäre „The Who“ aggressiv und energetisch genug – was auch immer ihn zu dieser Meinung gebracht hat.

Für die Namenswahl von The Animals gibt es mehrere Legenden. Zum einen hätten die Bandmitglieder in einen Pub in Newcastle upon Tyne darüber diskutiert und wären von einem Plakat über eine bevorstehende Veranstaltung „Animalism“ zu dem Namen angeregt worden. Zum anderen hätte die Band bei ihren Auftritten als „Alan Price Combo“ mehrmals von Besuchern den Satz vernommen: „Die sehen ja aus wie Tiere!“ Eric Burdon nennt aber in seiner Biographie „Animal“ Hogg, das Mitglied von „The Squatters“, einer lokalen Band, als Ursprung des Namens.

Ronnie Van Zant und seine Freunde von der High-School in Jacksonville (Florida) hatten eine Band mit Namen „The Noble Five“ gegründet. Der Sportlehrer ihrer Schule, Leonard Skinner, hatte die fünf oft wegen Verstößen gegen die Kleiderordnung (die auch die Haarlänge regelte) abgemahnt und gemaßregelt. Als die Jungs dann die Schule aufgaben, änderten sie den Bandnamen in „Leonard Skinner“. Da sie aber befürchteten, deswegen Ärger zu bekommen, tauschten sie alle Vokale gegen „y“ aus. Und so entstand Lynyrd Skynyrd. Skinner starb 2010 und er war vielleicht der einflussreichste Sportlehrer der Popkultur. Ob er das wohl als Lob gewertet hätte?

Death Cab for Cutie – wie kommt man auf so einen schrägen Namen? Ben Gibbard aus Bellingham, Washington hatte 1997 mit dem Solo-Projekt „All-Time Quarterback“ einen recht ordentlichen Erfolg und beschloss daraufhin, das Ganze zu einer Band aufzubauen. Den Namen hatte er schnell gefunden. Die „Bonzo Dog Doo-Dah Band“ (eine Gruppe von britischen Kunstschülern, die bekannt wurden mit Auftritten im Beatles-Film „Magical Mystery Tour“) hatte auf ihrem 1967er Album „Gorilla“ einen Song mit diesem Titel. Und da Gibbard fand, dass er gut zu dem mitunter etwas düsteren und rätselhaften Stil seiner Musik passte, wurde es der Name der Band. Geschadet hat es ihnen nicht, sie sind nach wie vor erfolgreich und wurden 2006 sogar mehrfach für den Grammy nominiert.

Bandnamen ändern sich auch und das mitunter nicht freiwillig. Diese Erfahrung musste auch die DDR-Band Klosterbrüder machen. Warum sie sich so genannt haben, ist nicht wirklich zu ermitteln. Da ihre Heimatstadt Magdeburg ihren Ursprung in dem 937 gegründeten Mauritiuskloster hatte, liegt es nahe, dass die Band das passend fand und so ihren Namen wählte. Die Geschichte der „Klosterbrüder“, die als die härteste Rockband der DDR galt (berühmt für ihre Live-Auftritte), liegt etwas im Dunkeln und es ist nicht wirklich klar, ob sie 1963 oder 1967 gegründet wurden. Dass sie bekannt wurden und sogar im DDR-Fernsehen auftraten, hatte aber auch Nachteile. Wegen ihrer ungezwungenen Live-Auftritte und ihrem „kirchennahen“ Bandnamen gerieten sie immer wieder in das Visier der DDR-Kulturoberen, was auch zu Spannungen innerhalb der Band führte. Ende 1975 gaben sie dann dem staatlichen Druck nach und nannten sich fortan (mit einigen personellen Neuzugängen) Magdeburg. Unter diesem Namen startete die Band 1992 ein Comeback. Seit dem 14. Januar 2000 heißen sie aber wieder „Klosterbrüder“.

Die New Yorker Band Steely Dan hat lange Zeit behauptet, dass der Name ihrer Band aus einem alten Porno-Film stammt, in dem ein stählerner Dildo eine große Rolle spielte. Der Name stammt aber aus dem Roman „Naked Lunch“ von William S. Burroughs, der 1959 veröffentlicht wurde. In dem gibt es eine Figur, die Steely Dan III heißt und einen stählernen Dildo (oder Penis?) besitzt. Walter Becker und Donald Fagen fanden das interessant und benannten ihre Band danach.

Gehen wir mal in die etwas unbekannteren Gefilde der Musik. Der Country-Sänger Bill Anderson (James William Anderson III – The Wispering Bill) hatte in den 1950er und -60er Jahren eine Begleitband die sich Po’ Boys nannte. Ein Radiomoderator (leider ist nicht bekannt, wer es war) stellte die Jungs, die eigentlich nur allgemein als die Band von Bill Anderson bezeichnet wurden, während einer Radiosendung im Jahr 1959 als „The Po’ Boys“ vor. Der Name gefiel Anderson und der Band so gut, dass sie ihn fortan behielten und später nur in „The Po’ Folks“ änderten. Ganz nebenbei – ein Po’ boy ist in Louisiana ein Sandwich gefüllt mit Fleisch und gebratenen Meeresfrüchten.

Wo wir gerade beim Buchstaben P sind – die Pet Shop Boys haben sich so genannt, weil Chris Lowe Tierhandlungen tatsächlich interessant fand und meinte, dass doch eigentlich niemand auf die Idee kommen würde, eine Popband so zu benennen. Von Neil Tennant kam dann der Vorschlag „Boys“ hinter den Pet Shop zu setzen und so eine Verbindung zu anderen Bands herzustellen, die das „Boys“ auch im Namen führten. Die Geschichte, dass sie den Namen von Freunden übernommen hätten, die in einer Tierhandlung arbeiteten und sich so nannten, ist wohl ins Reich der Legende zu verweisen.

Die Geschichte der Namensfindung für 10cc ist nicht ganz jugendfrei. Der Manager der Band hatte gelesen, dass die größte jemals gemessene Spermamenge einer Ejakulation eines Menschen 9 Kubikzentimeter gewesen sei. Und dass er einen Traum gehabt hätte, in dem er vor dem Hammersmith Odeon in London stand und dort auf einer Tafel zu lesen war: „10cc The Best Band in the World“. Graham Gouldman fand, dass das ihrer Potenz angemessen sei und so wurde es der Bandname.

Angeblich hat die Berliner Band Die höchste Eisenbahn ihren Namen von einer Schallplatte mit Hans Albers. Diesen Song entdeckten sie im Plattenladen „Bis aufs Messer“ in der Berliner Marchlewskistraße. Das würden wir ja gern glauben, wenn wir denn jemals eine Platte des großen blonden Hans mit diesem Titel im Netz gefunden hätten. Hier scheint es wie mit allen guten Geschichten zu sein – ist sie nicht wahr, so ist sie doch gut erfunden.

Fury in the Slaughterhouse hat da schon besser gesicherte Nachweise für die Herkunft ihres Namens. Der stammt aus einem Song von „Madness“. Auf deren Album „The Rise & Fall“ aus dem Jahr 1982 ist der Song „Rain“ mit der Textzeile „Fury in the slaughterhouse and the rain“. Kai und Thorsten Wingenfelder, und ihre musikalischen Mitstreiter, fanden den Namen interessant und zum Stil ihrer Band passend und dabei blieb es dann.

Die Band Counting Crows fand ihren Namen durch den britischen Kinderreim „One for Sorrow“, in dem das abergläubische Zählen von Elstern – die zur Familie der Krähenvögel gehören – von eins bis zehn, verbunden mit einer jeweils anderen Bedeutung, praktiziert wird. Adam Duritz, der Sänger der Band, war mit Marie-Luise Parker befreundet, die in dem Film „Signs of Life“ 1989 ihr Leinwanddebüt hatte. Im Film (der auch als „One for Sorrow, Two for Joy“ bekannt wurde), kommt dieser Kinderreim vor. Duritz war nicht nur von seiner Freundin, sondern auch von diesem Kindervers fasziniert und beschloss die Band nach den zu zählenden Krähenvögeln zu benennen. Der komplette Vers wurde auch in den Song „A Murder of One“ auf ihrem Debütalbum „August and Everything After“ eingebaut.

Neil Halstead und Rachel Goswell suchten einen Namen für ihre Band und lasen in einem Zeitungsartikel über die langsame Bewegung von Menschen, die sich in einem LSD-Trip befanden. Der Artikel verwendete den Begriff „slow dive“, um diese langsame, bewusste Wahrnehmung zu beschreiben. Halstead und Goswell fanden, dass dieser Ausdruck ganz genau zu ihrer Musik passt, die oft von träumerischen, langsamen und atmosphärischen Klängen geprägt ist. Und so gab es von da an die Band Slow Dive im Shoegaze-Genre.

Zum Schluss wollen wir noch die Geschichte von Acht Eimer Hühnerherzen aufklären. Das ist eine Berliner Punk-Band, die sich durch energiegeladene Live-Auftritte und eigenwillige, humorvolle Texte einen Namen in der Szene gemacht hat. Ihr Name stammt aus einem Gedicht von Erich Mühsam, einem Schriftsteller und Dichter der Weimarer Republik, der von den Nazis 1934 im KZ Oranienburg umgebracht wurde. Das Gedicht heißt „Bubenmädchenlied“ und enthält die Textzeile „Acht Eimer Hühnerherzen, wenn man sie nur fände.“ Die Band fand mit Recht, dass das der richtige Bandname für sie sei.

Damit wollen wir es erst einmal bewenden lassen, vielleicht setzen wir den Artikel später auch noch mal fort. Wir haben nach bestem Wissen und Gewissen im Netz geforscht, wie die Bandnamen entstanden sind, aber da ja im Netz viel geschrieben wird wenn der Tag lang ist, ist es durchaus möglich, dass wir der einen oder anderen Legende aufgesessen sind. Ihr könnt uns ja vielleicht Eure Geschichten zu kuriosen oder ungewöhnlichen Bandnamen und deren Entstehungsgeschichte zuschicken und wir basteln einen neuen Blog-Artikel daraus.

/AME

Montag, 20. März 2023

Sampelnde Musiker streuen Martin Luther Kings amerikanischen Traum

Was hat die Musik von Michael Jackson, DJ Quicksilver, Grandmaster Flash, DJ Bobo und Sabrina Setlur gemeinsam?

Sie alle und noch viele Künstler mehr haben Songs gemacht, in denen sie eine berühmte Rede des US-amerikanischen Bürgerrechtsaktivisten Rev. Martin Luther King jr. aufgegriffen haben.


Der 1929 geborene King war seit den 50er Jahren Sprecher des Civil Rights Movement, einer US-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung der Afroamerikaner. Er kämpfte gegen die Rassentrennung und setzte hierfür, von Mahatma Gandhi inspiriert, gewaltfreie Mittel ein. Großen Erfolg hatte er mit seinem Aufruf an die schwarze Bevölkerung, einen Tag lang öffentliche Busse in Montgomery zu boykottieren. Auslöser dieses Aufrufs war ein Strafverfahren gegen die schwarze Bürgerrechtlerin Rosa Parks, die im Dezember 1955 gegen eine lokale Vorschrift verstoßen hatte, die sie verpflichtete, weißen Fahrgästen einen Sitzplatz freizumachen und die deshalb zu einer Geldstrafe verurteilt wurde. An dem erfolgreichen, dann sogar fast ein Jahr dauernden Boykott öffentlicher Verkehrsmittel wurde deutlich, was King aufzeigen wollte, nämlich dass die Unternehmer auch auf schwarze Kunden angewiesen sind, um erfolgreich zu sein. Unter dem Eindruck des Boykotts erklärte der Supreme Court die Rassentrennung in öffentlichen Verkehrsmitteln von Montgomery für verfassungswidrig.


Am 28. August 1963 hielt King in Washington, D.C. seine weltberühmte Rede, die in vielen späteren Musikstücken gesampelt wurde. Sie handelt von Ungerechtigkeiten gegenüber schwarzen Menschen, von Segregation und Diskriminierung, von Armut.


King führte in seiner berühmten Rede in englischer Sprache aus:


[...]


Jetzt ist es an der Zeit, die Versprechen der Demokratie wahr zu machen. Jetzt ist es an der Zeit, aus dem dunklen und trostlosen Tal der Rassentrennung auf den sonnenbeschienenen Pfad der Rassengerechtigkeit zu gelangen.


[...]


Ich träume davon, dass eines Tages in den roten Hügeln Georgias die Söhne ehemaliger Sklaven und die Söhne ehemaliger Sklavenhalter sich gemeinsam an den Tisch der Brüderlichkeit setzen können.


[...]


Und dies wird der Tag sein – dies wird der Tag sein, an dem alle Kinder Gottes mit neuer Bedeutung singen können:


“Mein Land, es ist von Dir,

Dem süßen Land der Freiheit,

Von dir ich singe.

Land, wo meine Väter starben,

Land des Stolzes der Pilgerväter,

Lasst von jedem Bergeshang

Den Ruf der Freiheit erklingen!”


[...]


Und wenn dies geschieht und wenn wir zulassen, dass die Freiheit erklingt, wenn wir sie von jedem Dorf und jedem Weiler, von jedem Staat und jeder Stadt erklingen lassen, dann werden wir den Tag beschleunigen können, an dem alle Kinder Gottes, Schwarze und Weiße, Juden und Heiden, Protestanten und Katholiken in der Lage sind, sich die Hände zu reichen und mit den Worten des alten schwarzen Spirituals singen können:


“Endlich frei! Endlich frei!


Dankt Gott, dem Allmächtigen, wir sind endlich frei!”


—-



Unter dem Titel “The American Dream” wurde diese Rede sogar auf einem Tonträger bei Southeastern Recording Co. Of America als Nummer 636A-7330 veröffentlicht.


Die bewegende Rede Martin Luther Kings, die zwei alte Lieder zitiert, hat im Original-Ton ihrerseits Eingang in verschiedene Stücke der Musik gefunden. Vor allem in der elektronischen Musik sind diese Samples beliebt. Hier präsentieren wir eine Auswahl dieser Songs:


  1. Wir starten unsere Rundreise durch die Musikgeschichte 1987 mit “Refresh Yourself” von Three Wise Men, wo wir bei 4:37 das “I have a dream”-Sample aus Martin Luther Kings Rede hören, gefolgt von weiteren Samples aus der Rede. Der Track schließt mit dem Schluss der Rede und den Worten “Thank God Almighty, we’re free at last”. Aufgelegt wurden die Three Wise Men beim britischen Independent Label Rhythm King Records, doch über die Künstler war aber nichts Näheres herauszufinden.

  2. 1988 verwendete Out Of The Ordinary in seinem Elektro-Stück “The Dream” umfassende Samples aus der Rede. Out Of The Ordinary war der Künstlername des deutschen DJs Torsten Fenslau, eines der Produzenten von Culture Beat, die 1993 einen großen Hit mit “Mr. Vain” hatten. In jenem Jahr verstarb Fenslau im Alter von nur 29 Jahren an den Folgen eines Verkehrsunfalls, bei dem er am Steuer seines Wagens einen Sekundenschlaf hatte, während er nicht angeschnallt war.

  3. Ebenfalls 1988 benutzte die englische Electroformation Greater Than One für “Now Is The Time” umfassende Samples aus Kings Rede. Insbesondere ist bereits die Titelzeile “Now Is The Time” ein Sample aus der Rede. Greater Than One war ein britisches Musik-Produzententeam, das zwischen 1985 und 1995 tätig war und aus den Eheleuten Michael Wells und Lee Newman bestand. Es tätigte Veröffentlichungen unter zahlreichen Projektnamen. Am besten war es bekannt für den Track “I Wanna Be A Hippy”, den sie 1995 unter dem Namen Technohead veröffentlichten.

  4. Nicht gesampelt, sondern neu eingesprochen wurden Passagen aus Kings Rede von Grandmaster Flash and The Furious Five für den Song “The King”, der 1988 auf dem Album “On The Strength” erschien. Best bekannt ist diese Formation für ihren 1982er Track “The Message” über innerstädtische Armut.

  5. “A Better Land” ist ein Song von Heavy D & The Boyz vom 1989er Album “Big Tyme”, der gleich mit einem Sample aus der Rede beginnt. Der 2011 im Alter von 44 Jahren verstorbene Rapper Heavy D moniert in dem Lied, dass die Reichen immer reicher werden, während die Armen arm bleiben. Daran müsse sich etwas ändern. Man müsse das Land zu einem besseren Land machen.

  6. Sehr gute Ohren hat, wer schon zu Beginn des Tracks “As I Read My S-A” von Gang Starr hört, dass hier ein Sample aus der Aufnahme der Rede vorliegt, denn zunächst einmal geht es mit einem durch Scratching wiederholten “I” los. Dabei handelt es sich allerdings nicht um die Stimme von Martin Luther King, sondern um die des Moderators, der ihn ankündigt (“At this time I have the honor to present to you …”). Gang Starr ist ein US-amerikanisches Hip-Hop-Duo, das von 1986 an 20 Jahre lang bestand. Der Song stammt von ihrem zweiten Album “Step In The Arena”, das 1990 produziert wurde.

  7. “Free at last” und “Let freedom ring” sind die Samples, die der britische Jungle-Produzent Rebel MC in “Set Yourself Free” vom Album “Rebel Music” von 1990 wiederholt aufgreift. Rebel MC hatte 1989 zusammen mit Double Trouble einen Hit mit dem Song “Street Tuff”.

  8. 1993 erschien “Now Is The Time For Bass” von der Techno Bass Crew, bestehend aus Ivan Kopas und Robert J. Bartko. Von AllMusic werden sie als Pioniere der Bass-Musik bezeichnet. Dieser Track, der nur den Satzteil “Now is the time” aus der Rede enthält, zählt somit wahrscheinlich nicht zu den kreativsten Tracks des Duos, denn hitverdächtig klingt die Melodie dieses Tracks nicht. Aber auch sonst sind keine Charterfolge des Duos bekannt.

  9. Man nehme ein Sample aus der King-Rede, dann ein großflächiges Sample aus “Je t'aime... moi non plus” von Jane Birkin & Serge Gainsbourg und fertig ist ein Track mit dem obszönen Titel “Fickmusik” von The Speed Freak aka Martin Damm, der 1993 erschien. Der Mann wechselt seine Künstlernamen so häufig wie manche ihre Unterhosen.

  10. “Now Is The Time” ist ebenfalls ein elektronischer Musik-Track von The Crystal Method, die sich 1994 an dem entsprechenden Sample aus der Rede bedienten. Ursprünglich war The Crystal Method ein 1993 gegründetes Electro-Musik-Duo aus Las Vegas, Nevada, USA, das aus Scott Kirkland und Ken Jordan bestand. Letzterer stieg 2017 aus dem Musikbusiness aus und ließ Scott Kirkland allein weitermachen. “Now Is The Time” fand sich auch auf dem Soundtrack des Videospiels “Gran Turismo 2” sowie auf dem erfolgreichen Debütalbum von The Crystal Method, “Vegas”, von dem es noch weitere Songs auf Film- oder Spiele-Soundtracks geschafft haben.

  11. Ebenfalls “Now Is The Time” heißt ein Track des Genres Happy Hardcore von Scott Brown Versus DJ Rab S von 1995. Außer einem verfremdeten Sample dieser Titelzeile enthält der Track keine Elemente aus der Rede. Scott Brown ist ein britischer Musikproduzent, der unter zahlreichen Aliasnamen unterwegs ist. Hinter DJ Rab S steht der schottische DJ und Produzent Robert Simpson.

  12. Michael Jackson, der King of Pop, verwendete 1995 in seinem Song “HIStory” vom gleichnamigen Album bei 3:40 und 3:54 Samples aus Kings Rede. Der Song endet mit einem Sample von der Mondlandung.

  13. DJ Quicksilver hat die Zeilen “I have a dream” bzw. “I still have a dream” für den Track “I Have A Dream” verwendet. Der Track erschien 1996 zusammen mit “Bellissima” auf einer Single. DJ Quicksilber ist der in Istanbul geborene deutsche DJ Orhan Terzi. Nach Wikipedia soll er seinen Künstlernamen von einem Erfolgsbarometer abgeleitet haben, einer Quecksilbersäule, die bei einem DJ-Wettbewerb beim Beifall für ihn in die Höhe schoss.

  14. Das “Let freedom ring”-Sample wurde auch von Sabrina Setlur in dem Song “Freisein” verwendet, der mit dem “Free at last”-Sample abschließt. Der Song erschien 1997 auf dem Album “Die neue S-Klasse”. Für die Single wurde eine Version mit Videoclip produziert, mit der das Label 3p einen Sänger der Gruppe Söhne Mannheims, Xavier Naidoo, als Solokünsler introducte. Die Single konnte sich 17 Wochen in den Charts halten.

  15. Die Rappers Against Racism machten 1998 einen Song namens “Key To Your Heart”, in dem auch das Sample “I have a dream” vorkommt. Der Song schaffte es auf Platz 79 der deutschen Charts. Teil der Formation Rappers of Racism waren unter anderem das Hip-Hop-Duo Down Low und Trooper Da Don, ein deutscher Rapper aus Lüneburg, der zusammen mit DJ Tomekk und Lil’ Kim im Jahr 2002 den Hit “Kimnotyze” landete.

  16. 2001 machte das deutsche Pop-Duo Modern Talking, bestehend aus Dieter Bohlen und Thomas Anders, einen Song namens “America”, der auf “America – The 10th Album” erschien. Er beginnt mit der Nationalhymne der USA und spielt dann als Anspielung auf den “Amerikanischen Traum” das “I have a dream”-Sample ab. Modern Talkings bekanntester Hit war 1984 “You’re My Heart, You’re My Soul”, 1987 trennten sie sich, fanden dann aber für die Zeit von 1998 bis 2003 noch einmal zusammen.

  17. “We've got a long way to go / It's beyond Martin Luther / Upgrade computer”, heißt es in den Lyrics des Songs “Long Way To Go” von Gwen Stefani, der Front-Frau der Pop-Rock-Band No Doubt, und Andre 3000, Mitglied der Gruppe OutKast. Es handelt sich bei dem Song um den Closing Track des 2004er Albums “Love.Angel.Music.Baby.”.

  18. Mit einem Sample aus Kings Rede und diversen weiteren Samples beginnt ein französisches Hip-Hop-Stück namens “Je suis” von Explicit Samouraï vom Album “La danse du sabre” von 2004. Explicit Samouraï bestehen aus Leeroy Kesiah, Specta und DJ Eddy Kent. Die beiden erstgenannten sind auch Mitglied der Saïan Supa Crew, die bereits mit der Berliner Formation Seeed zusammengearbeitet hat, nämlich bei “Thing”, der englischen Version des 2006er Hits “Ding”.

  19. “I have a dream, I still have a dream” sind die aneinander geschnittenen Worte Kings, die DJ BoBo zu Beginn seines 2005er Tracks “Give Peace A Chance” verwendet. Der Titel klingt nach einem Cover des von John Lennon geschriebenen gleichnamigen Songs, ein solches ist es aber nicht. Vielmehr rappt der Schweizer DJ, der bürgerlich René Baumann heißt, einen eigenständigen Song. Im Refrain wird gesungen, teilweise von einer Frau, die in den Credits nicht genannt wird. Zweifelsohne handelt es sich um einen der melodischsten Tracks dieser Aufzählung.

  20. Ein ebenfalls hörenswerter Track aus dem Genre Hip Hop ist “A Dream” von Common, einem Künstler aus Chicago, Illinois, der bürgerlich Lonnie Rashied Lynn Jr. heißt. Den Refrain singt will.i.am, den man als Mitglied der Gruppe Black Eyed Peas kennt. Im Videoclip werden auch Ausschnitte der Videoaufzeichnung von Kings Rede gezeigt. Der Song erschien 2006 auf dem Soundtrack zum Film “Freedom Writers”.

  21. Unity Calling war ein Projekt des britischen DJs John Edward mit seinen Freunden Jaywes and Deeko. Edward wollte sich darauf konzentrieren, Musik mit einer tieferen zweckgerichteten Bedeutung zu kreieren. Heraus kam im Jahr 2007 das Album “History”, das in seinem zweiten Track, “I Have A Dream”, Samples aus Kings Rede, darunter zu Beginn den Satz – “Free at last” – aufgreift.

  22. Florian Arndt hat “Let Freedom Reign” (lasst die Freiheit regieren) verstanden (statt “Let freedom ring” – lasst Freiheit erklingen) und seinen Track aus dem Jahr 2007 entsprechend benannt. Sein House-Track greift diverse Samples aus Kings Rede auf. Auf der Platte befindet sich auch eine gleichnamige Version zusammen mit Mike De Ville, einem deutschen Trance-Produzenten, der bürgerlich Michael Schuessleder heißt.

  23. “Now Is The Time” ist auch das Sample, das sich 2007 die beiden Österreicher von Discotronic, Stephan Deutsch und Thomas Greisl, für ihren Track aus dem Genre Hands Up ausgesucht und mit weiteren Vocals ergänzt haben: “Now is the time, here is the place, cut the midrange, drop the bass.” 2006 waren Discotronic mit ihrem Hit “Tricky Disco” bekannt geworden. Damit hatten sie einen europaweiten Club-Hit gelandet. In Deutschland hatte sich die Single in den Top 5 der Dance-Charts platziert.

  24. “Impact avec le diable” von MC Solaar greift unter anderem das Sample “I have a dream that one day …” auf. Der Song erschien 2007 auf “Chapitre 7”. Passend zu einem Song, in dem es um den Teufel geht, wurde auch eine Sample aus einer Rede von Adolf Hitler verwendet. MC Solaar wurde 1969 in Dakar im Senegal geboren und zog mit seinen Eltern bereits als Baby nach Frankreich. Bekanntheit über Frankreich hinaus erlangte MC Solaar dank seiner Zusammenarbeit mit der amerikanischen Rapperin Missy Elliott im Song “All N My Grill”, in dem er 1999 den französischen Rap-Part übernahm.

  25. Der polnische DJ Matush, bürgerlich Tomasz Matuszak, benutzte “I Have A Dream” und andere Samples aus der King-Rede. 2008 erschien dieser Track aus dem Genre Progressive House.

  26. Auch ein Song von Guns n’Roses reiht sich in die Aufzählung ein, nämlich “Madagascar” vom 2008er Album “Chinese Democracy”. Der Song wurde erstmals 2001 von der Band live gespielt und wird seither häufig auf ihren Konzerten performt.

  27. Eine Electro-House-Version ist diejenige von Y&D namens “I Have A Dream” aus dem Jahre 2009, die neben dem “I have a dream”-Sample noch weitere Sätze aus der Rede enthält. Hinter Y&D verbirgt sich das Schweizer Duo Dan Daniel & Ivan Lujic.

  28. Beim italienischen Label Sunflower Records erschien 2008 der House-Track “Let Freedom Ring” von Counterfiters. Auch dieser Track enthält diverse Samples aus Kings Rede. Wer sich hinter Counterfiters verbirgt, ist allerdings nicht überliefert.

  29. 2010 kam Tiger and Dragon mit “The Dream” um die Ecke, dessen Original Club Mix auf “Tunnel Trance Force Vol. 54” erschien. Tiger and Dragon ist ein Projekt des deutschen House- und Techno-Produzenten Dietmar Otter aka Deat Marotta. 2009 hatte Tiger & Dragon, diesmal in der Schreibweise mit kaufmännischen Und-Zeichen, eine Cover-Version des iio-Hits “Rapture” herausgebracht.

  30. Ein großer Erfolg gelang mit der Verwendung der Rede von King dem niederländischen DJ Lodewijk Fluttert, bekannt als Bakermat. “Vandaag” hieß sein Track im Jahr 2012, was auf niederländisch “heute” bedeutet. Er schaffte es in die Top 10 in Österreich, Belgien, Frankreich und den Niederlanden. 2014 erschien der Track dann nochmals unter dem Titel “One Day (Vandaag)” nach Lizenzierung bei Sony. Hierzu erschien dann auch ein Videoclip und der Song konnte in weiteren europäischen Ländern Erfolge feiern, darunter Platz 4 in Deutschland.

  31. Der kalifornische Rapper Jayceon Terrell Taylor, besser bekannt als The Game, verwendete 2013 ein Sample aus der Rede für den Beginn des Songs “Life Is But A Dream”, in dem er den R&B-Sänger Elijah Blake featurt.

  32. 2014 nahm sich der Wu-Tang Clan der Rede an. In “Never Let Go” von ihrem sechsten Studioalbum “A Better Tomorrow” wurden Samples aus der Rede aufgegriffen. In Deutschland ist Wu-Tang Clan vor allem durch den Erfolg seiner Single “Gravel Pit” im Jahr 2000 bekannt geworden.

  33. “Blancos y negros somos uno” (Weiße und Schwarze, wir sind eins) sang 2020 der Dance-Hall-Künstler Abel Xanders, der 1990 in Havana, Cuba geboren wurde. 2019 arbeitete er als Percussionist und Keyboarder auf Konzerten mit Daddy Yankee zusammen. Damit beenden wir unseren Ritt durch die King-Samples.



Es liegt somit eine ganze Auswahl von unterschiedlichen Tracks mit verschiedenen Melodien vor, die alle dieselbe Rede sampeln. Es gibt aber noch eine größere Zahl weiterer Tracks, die hier genannt werden könnten. WhoSampled verzeichnet insgesamt sogar 129. Dort werden allerdings nicht nur Samples gezählt, sondern auch neu eingesprochene oder eingesungene Sätze aus der Rede von King.



Den von Martin Luther King initiierten Protesten ist es mit zu verdanken, dass mit dem Civil Rights Act von 1964 die Rassentrennung offiziell aufgehoben wurde. Doch King hatte sich nicht nur Freunde gemacht und wurde für sein Engagement ebenso wie seine Familie auch bedroht. Der Civil Rights Act war für ihn auch nicht das Ende, denn tatsächliche, vor allem wirtschaftliche Unterschiede zwischen Schwarzen und Weißen erforderten auch weiterhin Engagement gegen Rassismus. Am 3. April 1968 fuhr King nach Memphis, Tennessee zum Poor People’s March, einer Protestbewegung für soziale Gerechtigkeit, wo er eine Rede hielt. Am Folgetag wurde er auf dem Balkon eines Motels erschossen. Ein Täter wurde gefasst und für das Attentat verurteilt, doch ist nach wie vor umstritten, ob es sich um einen Auftragsmord durch Teile der Regierung handelte, denen Kings Engagement ein Dorn im Auge war. Martin Luther King jr. wurde nur 39 Jahre alt.


Das Anliegen, gegen ungerechte Diskriminierungen zu kämpfen, ist nach wie vor aktuell und wird es vielleicht immer sein. Es wird wahrscheinlich immer Machthaber geben, die versuchen, bestimmte Bevölkerungsteile zu unterdrücken, und durch zahlreiche Mitläufer wird das dann möglich.


Daher ist gut und wichtig, dass Musiker die Rede von Martin Luther King aufgegriffen und dadurch an seine wichtigen Anliegen erinnert haben. Es sollte nur nicht zur kommerziellen Ausschlachtung seines Kampfes gegen den Rassismus kommen.

/TWA